Stefanie Peter
Wozu Masken?
Ethnologische Anmerkungen zu einer Faszinationsgeschichte

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Masken sprechen nicht. Wer ihnen im Kunstmuseum oder der völkerkundlichen Sammlung gegenübersteht, hat nichts als eine Oberfläche vor sich: zwei leere Augenhöhlen und ein zumeist geöffneter Mund. Die Bedingungen ihres Gebrauchs, ihr kultureller und materieller Wert ist diesen toten Gesichtern nicht anzusehen. Wer darüber lernen will, muss diejenigen fragen, die eine Maske in Aktion gesehen haben – im Moment der kultischen Handlung, im Verbund mit ihrem Träger. Aber kommt es auf den Träger überhaupt an? Oder hat die Maske auch eine eigene, unabhängige Bedeutung? Wann ist eine Maske wie viel wert, wann ist sie ein Kultgegenstand, wann Schrott, wann Kunst? Eine Maske kann zu Fremdgeistern gehören, in öffentlich gespielten Komödien und Heilritualen auftreten. Sie kann sichtbar und unsichtbar sein oder selbst ein Gesicht, und sie kann zur Auslöschung führen. Was erzählt uns die Maske? Stellen wir diese Frage an die Ethnologie und verschaffen uns einen kursorischen Überblick über einige prominente Positionen.

Die Maske ist das, was sie nicht darstellt

Eine berühmte Anekdote aus dem Leben des Ethnologen Lévi-Strauss erzählt von einer dunkel polierten Holzfigur, die einen Schamanen der nordamerikanischen Tsimshian-Indianer darstellt. Lévi-Strauss, der während des Krieges im New Yorker Exil lebte, hatte sie bei einem Kuriositätenhändler erworben. Nicht ganz von ihrer Echtheit überzeugt, befragte er den geschmackssicheren Freund André Breton, der – wegen ihres „Kaffeebohnenaspekts“ – zum Kauf der Figur riet. Die Anekdote erzählt von einer faszinationsgeschichtlichen Kreuzung: nicht nur die Ethnologie, auch der Surrealismus interessierte sich in den vierziger Jahren für die so genannte primitive Kunst. Beide zeigten sich dabei vom vermeintlich Irrationalen fasziniert: die Kunst, weil sie an seinem ästhetischen Mehrwert interessiert war, die Ethnologie aus analytischem Erkenntnisinteresse. Während der Vorbereitung seines Bandes „L’Art magique“, zu dem es Breton an Einfällen fehlte, hatte er an verschiedene Personen einen Fragebogen verschickt. Beigelegt waren Reproduktionen von Kunstwerken, die man als „mehr oder weniger magisch“ einzustufen hatte. Lévi-Strauss, für den der Ausdruck „magisch“ eine genaue Bedeutung hatte, ja Teil des ethnologischen Vokabulars war, von dem er nicht wollte, dass er „sozusagen in alle Saucen gerührt wurde“, weigerte sich, an solch einer Umfrage teilzunehmen. In der Annahme, Breton würden gewiss auch die Reaktionen eines Kindes interessieren, gab er den Fragebogen zum Ausfüllen an seinen siebenjährigen Sohn weiter. Breton nahm das als Affront. Es kam zum Bruch zwischen den beiden.

Zwei Masken: Die eine mit plastisch hervortretenden Stielaugen, die andere mit leeren Augenhöhlen. Die eine ist mit Federn geschmückt, die andere mit den Resten eines Tierfells, die eine hell, die andere dunkel. Beide verhalten sich komplementär zueinander, und gehören doch zusammen. Masken stehen – wie Mythen – in einer dialektischen Beziehung zueinander. Folglich lassen sie sich nicht isoliert, sondern nur im Vergleich mit anderen Typen interpretieren, die als Transformationen von einander aufzufassen sind. An der Kultur der Indianer auf der Insel Vancouver hat Lévi-Strauss studiert, was ein Stil ist und wie er entsteht: „Eine Maske existiert nicht für sich allein; sie setzt andere, reale oder mögliche Masken neben sich voraus, die man ebensogut an ihrer Statt hätte wählen können. (...) Eine Maske ist nicht in erster Linie das, was sie darstellt, sondern das, was sie transformiert, d.h. absichtlich nicht darstellt. So wie ein Mythos verneint auch eine Maske ebensoviel, wie sie bejaht. Sie besteht nicht nur aus dem, was sie sagt oder zu sagen meint, sondern aus dem, was sie ausschließt.“ Aber, so fragt sich Lévi-Strauss weiter: „gilt dies nicht für jedes Kunstwerk? (...) Der Künstler, der Einzelgänger sein will, wiegt sich in einer möglicherweise fruchtbaren Illusion, aber das Privileg, das er sich einräumt, ist in keiner Weise real. Auch wenn er meint, sich spontan auszudrücken, ein originales Werk zu schaffen, erwidert er nur anderen Schöpfern, sei es vergangenen oder gegenwärtigen, aktuellen oder potentiellen. Ob man es nun weiß oder nicht – auf dem Pfade der Schöpfung wandert keiner je allein.“

Doch wozu Masken? An jeden Maskentypus sind Mythen geknüpft. Durch diese erklärt sich sein legendärer oder übernatürlicher Ursprung. Die Mythen begründen die Rolle der Maske im Ritual, in der Ökonomie und in der Gesellschaft. Der Besitz oder die Mitwirkung der Maske begünstigt den Erwerb von Reichtümern. Die Maske tritt zum Beispiel beim Potlatsch in Erscheinung, der ein charakteristisches Kulturelement an der amerikanischen Nordwestküste ist und verschiedene Formen von Verdienst- oder Gedenkfeiern bezeichnet, bei denen Geschenke verteilt werden oder in großen Mengen ins Meer geworfen werden. Neben Gütern des täglichen Gebrauchs können das auch besondere Prestigeobjekte sein. Bemalte Kupferplatten zum Beispiel, die nach jedem Besitzerwechsel in ihrem Wert steigen. Mythische Geschichten und Klanlegenden werden bei solchen Feiern in Form von Maskentänzen aufgeführt. Die Masken stellen mythische Ahnen dar, böse Geister aus den Wäldern, Narren oder Tiere. Tiermasken repräsentieren entweder das Wappentier einer Familie oder ein Wesen aus der Mythologie. Dabei kommt es vor, dass sich Tiere in Menschen verwandeln – aufwendig gestaltete Klappmasken bringen diese Metamorphose hervor. Die Masken sind Eigentum einiger vornehmer Stammeslinien und werden durch Erbschaft oder Heirat weiter gegeben. Sie sind Quelle, Ursache und Symbol des Reichtums, Mittel des Ehebündnisses und Gegenstand des Tauschs.

Die Maske als Instrument und Medium

Die Funktion der Metamorphose erscheint auch Michel Leiris das zentrale Moment der Maske zu sein. Damit befriedigt sie ein grundlegendes Bedürfnis des Menschen, der nichts so sehr und so früh will, als seine Seinsform zu überschreiten: „Wenn es eine Tätigkeit gibt, die unter den unzähligen menschlichen Aktivitäten an eine der ersten Stellen gerückt werden muß, so ist es jedenfalls die der Verkleidung. Von dem einfachen Schmuck an, dem Gefallen an prächtiger Kleidung und Uniformen, über die Theatermasken und -kostüme, die Karnevalsvermummungen, den Flitterkram der Clowns, das Schminken der Frauen und die Mönchskutte der Büßer bis hin zu den Totemverkleidungen und den Tätowierungen und Bemalungen sieht es ganz so aus, als ob der Mensch, kaum dass er sich seiner Haut bewusst geworden war, nichts eiligeres zu tun hatte, als sie zu wechseln und sich mit dem Kopf voran in eine erregende Metamorphose zu stürzen, die es ihm durch das Anlegen einer anderen Haut erlaubte, seine eigenen Grenzen zu durchbrechen.“ Die Maske selbst bleibt in diesem Vorgang abstrakt. Auch, wenn sie figürlich ist, bildet sie nicht ab und ist keinem Naturalismus verpflichtet. Die Funktion der Maske ist instrumentell, sie ist für Leiris ein Medium, das zwischen Ich und Du, dem Eigenen und Fremden vermittelt. Und häufig auch zwischen dem Ethnologen und dem so genannten Wilden. Dass die Kanäle dieser Vermittlung auch zwischen den Kulturgrenzen selbst verlaufen können, muss den Ethnologen frustrieren. Auf der Suche nach dem geliebten Authentischen blickt der Ethnologe in den Spiegel, wo er doch das Antlitz eines Fremden erwartet hatte. So Michel Leiris: „27. Oktober Die Maske, die ich bei dem großen Auszug nach der Beerdigung für die „Marabut“-Maske gehalten hatte, ist nichts anderes als die Karikatur einer europäischen Frau. Mit ihren lang herabfallenden schwarzen Haaren, die auf der Schädelmitte durch einen tadellosen Scheitel aus Kauris geteilt sind, mit ihrer Kapuze aus schwarzen Fasern, ihrem blauen Boubou und ihrem Merkheft stellt sie eine begeisterte Touristin vor, die sich Notizen macht, an die Tänzer Banknoten verteilt, alle Ecken und Winkel durchstöbert, in Verzückung gerät usw. Zu Beginn unseres Aufenthalts in Sanga hatten die Leute uns das nicht zu sagen gewagt. Wo sie jetzt vertrauter mit uns sind, haben wir es erfahren. Ambibé Babadyi trauert dem goldenen Zeitalter vor der französischen Besetzung nach, als es noch viel mehr Masken gab, und sie auch stärker und schöner waren.“ Die Geschichte dieses Verlustes – das wusste Leiris aus eigener Anschauung – ist auch die Geschichte eines großen Betrugs. Während der berühmten Dakar-Djibouti-Expedition in den dreißiger Jahren, zu der er eine Chronik verfasste, hatten die Ethnologen heimlich Masken entwendet, die zuvor in Maskenhöhlen und geweihte Spalten geworfen worden waren. Die Europäer behandelten diese Objekte wie Müll, obwohl sie wussten, dass es sich um heilige Gegenstände handelte. Dann führten sie sie den Pariser Sammlungen zu, wo der vermeintliche Müll erneut auratisch aufgeladen wurde.

Masken des Kolonialherren

Der Kolonialismus hat in Afrika eine große Anzahl bildnerischer und performativer Praktiken hervorgebracht, die sich in das europäische Herrschaftsprojekt einmischten: mit beißender Kritik, Humor und Einfühlung. Im Kult agierten die Afrikaner aus, welche Konsequenzen dieser Import der Moderne für sie hatte und welche Entfremdungserfahrungen er mit sich brachte. Ein eigener Performance-Typus untersuchte die Figur des Kolonialbeamten, indem er dessen Überzeugung parodierte, afrikanische Subjekte kontrollieren zu können. Während den afrikanischen Zuschauern unmittelbar deutlich wurde, was die koloniale Karikatur innerhalb des klassischen afrikanischen Ritual-Corpus bedeutete, erlebte nun der Kolonialbeamte eine Entfremdung. Denn er war dumm und kaum in der Lage, die kritischen Codes der Handlungen zu entziffern, in denen er manchmal als Ehrengast zugegen war.

Fritz Kramer untersucht afrikanische Maskenkomödien als Formen der Fremdbesessenheit, das heißt als eine Form, das Andere in der eigenen Kultur darzustellen. Solche Aufführungen, in denen Kolonialbeamte, Missionare, Polizisten, Händler und andere komisch dargestellte Figuren zum Repertoire gehörten, hatte der Ethnologe Julius Lips schon Ende der zwanziger Jahre als Verspottung des „Weißen Manns“ gedeutet. Laut Kramer gilt der Spott in diesen Komödien indessen nicht dem Außenstehenden, sondern den eigenen Leuten, die sich so töricht vor ihm aufführten. Diesem Zweck dienten zum Beispiel Masken, die die Schlüsselfiguren des katholischen Kults persiflierten: Joseph und Maria, beide mit roten Gesichtern, Maria als weiße Frau mit üppigen Brüsten. Zum Auftritt dieser Masken wurde ein Lied gesungen, das sich ursprünglich auf einen Potenztest bezog, der anlässlich einer Mädchenweihe durchgeführt wurde. „Sie hat mit einem Impotenten geschlafen“ – dieser Satz bezog sich in der Maskenkomödie auf das Dogma der Unbefleckten Empfängnis.

Sinnlose Masken

Für Roger Caillois war das „Problem der Maske weder ein episodisches, noch ein lokales. Es betrifft die Gattung als Ganzes.“ Nachdem er schon früh dem Surrealismus abgeschworen hatte, um sich ganz der naturwissenschaftlichen Erkenntnis zu verschreiben, kommt Caillois zur radikalsten Theorie der Maske überhaupt. Seine Beobachtung von Schmetterlingsflügeln, mimetischen Insekten und Steinen hatten frappierende Übereinstimmungen mit den Masken der Menschen ergeben. Die Muster waren dieselben, und so offenbarte sich ein gemeinsamer Formenvorrat für Mensch und Tier. Zu welchem Nutzen aber? Zu keinem. Das Naturtheater der faszinierenden Nachahmungen und phantastischen Formfindungen, Tarnung, Warnsignale und Mimikry – in diesen Dingen erkennt Caillois einen derart überbordenden Reichtum, dass er sich kaum mit vernünftiger Zweckmäßigkeit erklären lässt. Die bildnerische Natur schlägt sich im spielerisch zweckfreien Wirken des Naturreichs ebenso nieder wie in der vom Naturzwang befreiten Sphäre menschlicher Imagination. Die Maske ist Teil dieses Wirkens: Sie dient nicht der Verkleidung oder dem Betrug, sie produziert – wie andere Phänomene der Natur auch – bloßen Schauwert. „Diese Verwandlungen, diese Verkleidungen, für die sich noch viele andere Beispiele anführen ließen, scheinen über jeden Zweifel erhaben. Wozu aber all diese Übereinstimmungen, all diese Nachahmungen, die für das Überleben der Art offenbar weder hilfreich noch auf Umwelt- oder Ernährungseinflüsse zurückzuführen sind? Das Ganze macht den Eindruck, als handelte es sich um eine Mode, an die jede Art ihre Tracht mit den Mitteln ihrer Wahl anpasst: eine „langsame“ Mode, deren Variationen für Jahrtausende und nicht nur für eine Saison Bestand haben und die von den Arten getragen wird, nicht aber von den Individuen. Aber auch bei den Menschen ist die Mode ein Phänomen, das sich auf Mimese gründet, auf eine undurchsichtige Ansteckung, auf die Faszination durch ein grundlos nachgeahmtes Modell. (...) Man verkleidet sich nicht nur, um sich zu verbergen. Ebenso verkleidet man sich, um gesehen zu werden, um in einem erborgten Gewand zu prunken, zu verführen oder zu betrügen. Ich muss hier wieder auf das Vorurteil der Zweckmäßigkeit hinweisen: der Mensch meint, es sei für das Insekt zweckmäßig, daß es sich verstecke. Dass es sich im Gegenteil zur Schau stellen könnte, will ihm nicht in den Kopf.“ Für Roger Caillois steht die Maske für sich. Sie ist zu nichts gut.

 

Textnachweise:

Roger Caillois: Méduse&Cie. Die Gottesanbeterin. Mimese und legendäre Psychasthenie. Aus dem Franzosischen von Peter Geble. Berlin 2007, S. 96f., 122f.
Fritz W. Kramer: Der rote Fes. Über Besessenheit und Kunst in Afrika. Frankfurt/M. 1987, S.167f.
Michel Leiris: Das Auge des Ethnographen. Aus dem Französischen von Rolf Wintermeyer. Frankfurt/M. 1978, S. 259
Michel Leiris: Phantom Afrika. Tagebuch einer Expedition von Dakar nach Djibouti 1931-1933. Aus dem Französischen von Rolf Wintermeyer. Frankfurt/M. 1980, S. 155
Claude Lévi-Strauss: Der Weg der Masken. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer Frankfurt/M. 1977, S. 132, 136
Claude Lévi-Strauss, Didier Eribon: Das Nahe und das Ferne. Eine Autobiographie in Gesprächen. Aus dem Französischen von Hans-Horst Henschen. Frankfurt/M. 1996, S. 55