Jens Asthoff
Mariella Mosler
Konzentration und Verschwendung
Monografie. Kunstforum International, Bd. 158, 2002, S. 188 – 197
Zwei durchgängig prägende Aspekte fallen bei den Arbeiten von Mariella Mosler unmittelbar auf: die Verwendung von Ornamentstrukturen und eine spezielle Materialauswahl. Mosler arbeitet mit den Stoffen Quarzsand und Fruchtgummi sowie mit menschlichem Haar, Materialien, die sie unabhängig voneinander in bestimmten, daraufhin entwickelten Werktypen einsetzt. Substanziell besteht eine Arbeit oft nur für die Dauer einer Ausstellung. Auch insofern sind diese Ornamente eine Entäußerung des Werks an den ästhetischen Schein. Ihr latenter Hang zur Entropie löst die dem amorphen Material eindrucksvoll abgerungene, in strenger Präzision sehr leicht wirkende Form zum Bild in der Schwebe auf, verleiht der Arbeit oft irreal wirkende Präsenz. Wie in beständiger Ankündigung seines Verschwindens steigert sich das Werk in die Erscheinung hinein und konzentriert sich darin zu einem Moment von Zeitlosigkeit. Zugleich wirkt die in ihm sedimentierte (Arbeits-)Zeit – so rein in vergängliche Form investiert – wie die ausdrücklich gemachte Verschwendung. Jene staunende Vorbehaltlosigkeit, zu der Moslers Installationen Ausstellungsbesucher immer wieder herausfordern, ist darin zugleich ihre Provokation.
Ornament ist bei Mosler Gestaltungsweise, Thema und visuelle Strategie. Dabei arbeitet sie mit den vielschichtigen, teils widersprüchlichen emotionalen Besetzungen des Materials, das – spielerisch wie hinterrücks – Affekte der Betrachter ködert und sich doch jederzeit auf seine Einbettung in eine formale, schmückende, sinnfreie Oberfläche zurückziehen darf. Im Ornament ist dem Sehen keine Bedeutung auferlegt – umso nachdrücklicher und wohl auch subversiver ist ornamentale Form mit den affektiven Eigenvalenzen, jenen nicht minder bedeutungstragenden, kulturell codierten Qualitäten eines Materials zu unterfüttern. So greift hier beides, Stoff und Form, auf oft überraschende und stark bildhafte Weise ineinander und inszeniert sich darin wechselseitig.
Moslers Strategie baut darauf auf, dass Ornament seine semantische Schicht strikt in der Oberfläche bündelt. Kein Verweis auf Subjektivität, auf Ausdruckswillen macht sich in ihm geltend. Es repräsentiert keine Autorschaft, sondern entspringt öffentlichem Eigentum, ist Produkt anonymer Traditionslinien, an denen zahllos Viele mitgeschrieben haben. Der Transfer solcher Formen in einen zeitgenössischen Kunstzusammenhang erzeugt eine hybride Struktur: Einerseits schreibt Mosler die von ihr verwendeten Muster in nicht-auktorialer Weise fort, reiht sich also in die Linie ein – andererseits ist sie als Teilnehmerin im Kunstdiskurs auch individuelle Schnittstelle, indem sie Material aus verschiedenen kulturellen Zusammenhängen auswählt, kombiniert, also ein a-historisches Sampling betreibt, und dadurch wiederum aus Traditionsgebundenheit heraustritt.
Eine Arbeit beginnt mit der Analyse des gegebenen Raums. Ornament relativiert hier die Idee von autonomer Skulptur, indem es als raumbezogenes Dekorum auftritt. So kann es eine räumliche Ordnung (re-)organisieren und behaupten. Einerseits stellt Ornament mit seinem Rapport eine unendliche Ausbreitung ohne Mittelpunkt dar, die sich erst anhand eines Raums überhaupt konkretisiert, andererseits bezieht Mosler diesen auch in die Dynamik der ornamentalen Muster ein, verändert dadurch gezielt seine Wahrnehmung. Binnenstruktur der Form und ihre Positionierung zum Raum werden in quasi suggestiver Intervention miteinander verzahnt. Dabei hat Mosler in Hinsicht auf unterschiedliche Materialien verschiedene Strategien der Bezugnahme entwickelt: Ihre Sandarbeiten sind Bodenornamente, Fruchtgummi tritt in Wand- und Deckeninstallationen auf, neuere, aus Haar gefertigte Arbeiten werden flächig freihängend präsentiert.
Die aus Quarzsand geschütteten Bodenornamente bilden komplexe Reliefs. Das formlose, ästhetisch unverdächtige Material wird ohne Träger in geschlossener Fläche aufgebracht. Der Sand ist nicht fixiert. Vielmehr orientiert Mosler die Formung strikt an den durch Materialeigenschaften gegebenen Möglichkeiten und schöpft diese in der Komplexität ornamentaler Muster durch äußerste Zuspitzung auf das Machbare aus. Zunächst entstehen exakte geometrische Entwürfe, die in Handarbeit umgesetzt werden. Die Ausführung ist frei von Expression und künstlerisch von nachgeordneter Bedeutung, solange sie nur mit äußerster Sorgfalt geschieht. Das offene Formenrepertoire bindet Motive aus unterschiedlichen Kulturkreisen ein, greift geometrisch-sternförmige, floral-geschwungene Elemente oder komplizierte Rosetten und Arabesken auf, aber etwa auch Muster aus Kinder-Zeichenschablonen oder von Stoffen sowie von Mosler frei entwickelte Formen.
Das ‘populärste’ Beispiel für diesen Werktypus ist wohl das Sandornament, das Mosler 1997 auf der documenta X im Zwehrenturm einrichtete. An einem Ort, nebenbei, den fünf Jahre zuvor James Lee Byars als den Inbegriff des White Cube inszeniert hatte – puristisch, weiß in weiß, als ‘Kunstraum’ metaphorisiert und zu sich selbst feiernder Schwerelosigkeit erhöht. Moslers dX-Installation ist auch ein zeitversetzter Kommentar dazu und zugleich ein Beispiel dafür, wie ihre Verwendung von Ornament Raum nicht bloß dreidimensional definiert, sondern auch nach Kontextualität und – im Zusammenhang mit Byars sei das Wort erlaubt – in Bezug auf dessen ‘Aura’. Die documenta-Arbeit, so wird berichtet, „beeindruckte durch sich selbst, … ein glühend konzentriertes Stimmungsbild ohne Geheimnis und Höhepunkt“, an dem man nur von außen, im Schauen eben, teilhaben konnte. Es war ein Raum für den Blick, einer, der den Körper ausschließt beziehungsweise positioniert. Das Überschreiten der Grenze wäre zugleich Überschreitung des Scheins und hätte das Bild zerstört. Das Muster aus einander überlagernden, ineinander verflochtenen Kreissegmenten, das den Boden bis an die Wände heran ausfüllte und so einerseits den Raum einfasste und betonte, dezentrierte ihn zugleich durch den a-rhythmisch gesetzten Rapport. Für die Imagination war der Raum so über seine faktische Begrenzung hinaus ‘geöffnet’.
Die Bodenreliefs interagieren in besonderer Weise mit Raumlicht: Ob es seitlich oder von oben, von einer oder von mehreren Seiten einfällt, gleichmäßig oder diffus ist, ob konstantes Kunstlicht verwendet wird oder saisonal-tageszeitliche Rhythmen einfließen – unweigerlich übersetzen solche Faktoren ein und dieselbe Struktur in völlig unterschiedliche Erscheinungen. Mosler bindet dies gezielt in ihre Arbeit ein. Wer etwa die Sandarbeit im Zwehrenturm zu verschiedenen Tageszeiten oder bei Kunstlicht sah, fand jedes Mal ein deutlich verändertes Bild vor: In dem Raum mit seinen nach drei Seiten hin umlaufenden Fenstern entfaltete sich dank wandernder Schlagschatten und wechselnder Lichtfarben aus der in Sand geprägten Form eine in permanentem Wandel begriffene Zeichnung. In einer anderen Installation, 1998 in Nantes, hat Mosler die Änderungen des natürlichen Lichts mit der ornamentalen Form parallelisiert. Einer rechteckigen Sandfläche von neun mal einem Meter legte sie ein klassisches Mäanderband zu Grunde. Die Form war aus nur einer Linie heraus strukturiert, die sich auf einer Breite von einem Meter und in 90-Grad-Winkeln gleichmäßig nach innen und von der Mitte her wieder nach außen faltete und so ein Quadrat bildete, um anschließend in ein weiteres, gleichartiges überzugehen. Diese Struktur setzte Mosler über neun Quadrate hin fort. Das Gesamtformat entsprach den Abmessungen des Oberlichts, unter dem die Arbeit platziert war, und das deren einzige Beleuchtung darstellte. Das Tageslicht wanderte über das Band, dessen Linearität diesen Verlauf zu paraphrasieren schien. In dem sonst dunklen Raum war das Sandornament nie vollständig und gleichmäßig ausgeleuchtet und veränderte langsam aber mit jedem Augenblick seine Erscheinung.
Die besondere Wirkung der Arbeiten ist auch durch ihre Anfälligkeit bestimmt. ‘Aus Sand gebaut’, verkörpern sie einen Inbegriff gefährdeter Schönheit, beschwören aber wohl auch den Impuls herauf, als quasi anonymer Autor eine Spur hinterlassen zu wollen. Gelegentlich hat Mosler dies konkretisiert, indem sie die Flächen zwischen den Ornamenten, glatt mit gesiebtem Sand bedeckt, zum Betreten vorsah, etwa 1992 in einer Ausstellung im Künstlerhaus Hamburg oder 1996 im Württembergischen Kunstverein Stuttgart, in dessen Kuppelsaal sie ein großformatiges, am Durchmesser der Kuppel orientiertes Kreisornament zu Grunde legte. Besucher flanierten in den Zwischenräumen des Rapports, auf ‘gleichem Terrain’ mit den empfindlichen Mustern und oft nur einen Fußbreit von diesen entfernt. Das latente Spannungsverhältnis, das die Arbeit zwischen Faszination von Unberührtheit und Wunsch nach Überschreitung offenhält, wird so als Handlungsspielraum überantwortet und schreibt sich ins Gesamtbild ein: Auslöschung und Ausdifferenzierung bestehen nebeneinander.
Moslers Arbeiten sind auch Realisierungen von Zeit. Das gilt, spezifisch, für fast alle von ihr entwickelten Werktypen. Nicht nur, dass die Herstellung einer Arbeit bloß für die Dauer einer Ausstellung jedes Mal mit erheblichem Zeitaufwand verbunden ist. Mit der Empfindlichkeit steht auch deren Vergänglichkeit und gleichsam ihre ‘Sinnlosigkeit’ vor Augen. Mosler betreibt hier auch strategisches Spiel mit der Faszination einer Kunst, die im Gestus von Sisyphusarbeit auf Selbstbezüglichkeit beharrt, die sich selbst genug ist in einer Anstrengung, deren Ergebnis von vornherein nicht festzuhalten ist. Ein stiller Heroismus, wohl auch als Travestie ‘moderner Kunst’ zu lesen. Zugleich aber, sei’s schon wieder aufrichtig oder in nur umso größerer Ironie, ist ihre Arbeit radikal in der Behauptung des Augenblicks und dessen affirmativer Verknüpfung mit dem ‘Schönen’. Unter Abweisung jeglicher Verdinglichung macht dies auch ein Moment von Ökonomie zum Reibungspunkt. Die sichtbar intensive Investition von Energie in etwas, das seinen ‘Wertzuwachs’ – das Gelungensein, die Schönheit, den Marktwert – planmäßig und provokativ im Effekt verspielt. Die Werke entziehen sich ihrer „Einspeisung in den Verwertungskreislauf der Ware ‘Kunst’“. Ein Fall von ‘Zeitverschwendung’, aus dem die errichtete ornamentale Ordnung anti-monumentalen Gestus bezieht.
Ornamente aus Fruchtgummi zeigte Mosler bereits Ende der 80er Jahre. Die sparsam wandfüllenden Muster, die von weitem wie farbig-lineare Wandzeichnungen wirkten, entpuppten sich im zweiten Blick als Reihen grüner ‘Kleeblätter’, Schleifen aus blauen ‘Delphinen’ mit regelmäßig aus rotleuchtenden ‘Kirschen’ gesetzten Pointen oder als kreisend mäandernde ‘weiße Mäuse’. Grundstoff des Wandschmucks bilden alltägliche Pfennig-Genuss-Artikel. Die überraschende Kreuzung von Material und Form verschränkt sich im Moment des Entzifferns unmittelbar zum Bild, die ornamentale Struktur und ihre süße Füllung unterstreichen und affirmieren einander wechselseitig in der Eigenschaft als ‘Genussmittel’. Mit der Leichtigkeit eines Kinderspiels, in dem aus bunten Süßigkeiten prächtiger Schmuck und leuchtendes Kristall gezaubert wird, frappieren sie in einer akkurat an der Formensprache von Ornamentik entlang ausgesponnenen Umsetzung. Die direkte Lust am Einverleiben solcher Süßwaren, an die ja ihre bunte Aufbereitung ursprünglich appelliert, ist mit solcher Auslegung zum Ornament demonstrativ zu eine indirekten Lust am Schauen aufgehoben. Als Lebensmittel sind sie ja bereits der pure Appell ans Begehren, Nahrung als Dekor. Ihr ornamentales Prinzip verlängert Mosler in die Verwendung als Wandschmuck hinein. So gehört es bis heute in ihr ‘Repertoire’ und wird in neuen, zugespitzten Varianten weiter durchgearbeitet.
Wie etwa im israelischen Herzliya Museum of Art: Anfang 2001 zeigte sie dort unter anderem die Installation Dracula, ein großflächiges Wandornament aus dicht verfugten Fruchtgummi-‘Vampirzähnen’, die, weiß auf rot, in mächtigen, wie durch Arme miteinander verbundenen Kreisformen angeordnet waren. Gegenüber der sparsam linearen und vielfarbigen Gliederung früherer Wandarbeiten geht Mosler hier nach dem Prinzip geschlossener Flächen vor. Dabei steigert die Reduktion auf nur einen Süßwaren-Typus die farbliche und rhythmische Konzentration und bildet zugleich eine assoziative Dramatisierung, in der die affektive Schicht des Materials ausgespielt wird. Auf einer Fläche von vier- mal dreieinhalb Metern und wie eingezwängt bis auf angrenzende Wände knapp herüberlappend, entspinnt Dracula einen ebenso dekorativen wie kurios-monströsen Strudel zuckersüß offener, ‘blutrünstiger’ Mäuler, die verlockend ihre Zähne blecken. Aus der Distanz der eindrucksvollen Gesamtwirkung überrascht wohl viele die Einsicht in den Ausgangsstoff erst auf den zweiten Blick, und selbst wenn man es bereits sieht oder weiß, gleitet das Bild beständig zwischen der Gestalt des rhythmischen Dekorums und einer Suggestion von süßlicher ‘Bedrohung’ hin und her. Zudem sind beide Ebenen vielfältig verflochten, etwa, indem Mosler die aufgereihten Kaustücke zu allerlei Grimassen expressiv verzogen hat: einerseits, um deren Zahnweiß akkurat auf Linienführung des Gesamtbilds zu trimmen; andererseits, um das mimische Ausdruckspotenzial der Münder in fratzenhafter Arabeske zu bündeln. So ist Ornament hier auch als die ‘Wiederkehr des Verdrängten’ demonstriert. Und über all dem ein süßes, durchdringend künstliches Aroma …
Seit etwa 1998 verwendet Mosler in ihrer Arbeit menschliches Haar. Unter ihren Werkstoffen ist dies der wohl am deutlichsten ambivalent besetzte, teils tabuisierte, bei dem allein die Rede vom ‘Material’ Empfindlichkeit auslösen kann. Als Teil des Körpers und in der ‘Stoffgewinnung’ mithin ans Individuum gekoppelt, ist Haar, abgetrennt, latent mit Gewalthandlung assoziiert – sofern es nicht freiwillig geschenkt wurde, wie etwa die Locke als Liebesbeweis. Insofern verbindet sich mit Haar auch Intimität: Es ist ein unteilbar ‘persönliches Produkt’. Darin hat es „in allen Kulturen eine Sonderstellung. Solange es auf dem Kopf ist, gilt es als Zeichen […] für Lebenskraft und sexuelle Energie […, während es auch …] in Unterwerfungs- oder Strafaktionen eine Rolle [spielt] – man schneidet es ab, man rasiert den Kopf“. Einer merkantilen Spielart solcher Verhältnismäßigkeit entstammt das aus Asien importierte (Frauen-)Haar. Bewusst wählt Mosler diese anonyme Handelsware. In Standardlängen erhältlich und für die Herstellung von Perücken bestimmt, geht es in seinem Gebrauchswert nicht auf. Vielmehr trägt es den Reflex auf individuelle Integrität in sich fort, ohne diese dabei zu personifizieren. Das von Mosler verwendete Material birgt auch ein Moment vorgefundener Inszenierung. Asiatisches Haar, genuin schwarz und als „besonders kräftig“ angeboten, wird im kommerziellen Vertrieb in praktisch allen denkbaren Tönungen gehandelt, bis hin zu hellstem Blond oder Grau. Vermeintliche Spuren des Persönlichen, die mit der Farbauswahl ja auch in Moslers Objekte und Installationen Eingang finden, sind also im Ausgangsstoff bereits durch chemische Bearbeitung künstlich erzeugt. Der Schein von Individualität ist industriell verfügte Projektion.
An neueren Arbeiten, wie der erstmals im Herzliya Museum gezeigten Haar Wand, fällt auf, dass sie ohne eigentliche Ornamentstrukturen auskommen. Sie basieren auf linearem Verknüpfen standardlanger Strähnen, bis diese der Höhe eines gegebenen Ausstellungsraums entsprechen. Diese filigranen ‘Bänder’ werden dann zu einem flächig-lichten Vorhang aufgefädelt. Die Linearität des hängenden Haars ist nur durch die Verknüpfungspunkte der Strähnen unterbrochen, weitere Strukturierung oder Muster gibt es nicht. Damit betont die Arbeit einen elementar zeitlichen Aspekt: Haar wächst um etwa einen Zentimeter im Monat und verkörpert insofern akkumulierte, individuelle Zeit. In diesem biologischen Rhythmus liegt ein für Betrachter unmittelbar affektiver Bezugspunkt. In der denkbar unprätentiösen Struktur von Haar Wand ist solche gelebte Zeit regelrecht für die Anschauung ausgebreitet – ein recht reduziertes Dekor, ein Vorhang, leicht und filigran, beinahe ein Nichts, dabei aber in erhabenem, raumhohen Ausmaß. In dieser ungewohnten und auch latent unheimlichen Anhäufung war das ‘Material’ im Herzliya Museum zudem wortwörtlich als Grenzsituation inszeniert. Der flächige Schleier teilte den Raum in zwei gleich große Bereiche auf, die über separate Zugänge unabhängig voneinander zu betreten waren. Dass Mosler Haar hier präzise als Grenze verräumlichte, profiliert die Ambivalenz seiner affektiven Besetzungen. Es zu berühren, gar zu durchschreiten wäre ein Leichtes – es dennoch als Grenze aufzufassen, macht seine spezifische Qualität, die Spur des Körperlichen und des Individuellen, erlebbar. Dabei konfrontierte Haar Wand die Betrachter in doppelter Weise: Einmal mit Affekten, die das Material hervorruft, zum anderen in der Inszenierung als einer ‘osmotischen’ Demarkation, in der der Blick, nicht aber der Körper die Seite wechselt. Die Arbeit mündete so in einer Spiegelstruktur der Wahrnehmung – durch sie hindurch sah man auf Besucher, die einen in derselben Weise sehen konnten.
Eine andere, vergleichsweise introvertierte Strategie zeigt sich in Moslers Haarobjekten. Die in komplizierten Häkel- und Knotentechniken gefertigten, winzigen und filigranen Arbeiten sind als singuläre Ornamentfiguren konzipiert, also nicht in einen Rapport eingebettet – als ‘Einzelornamente’ quasi realisierter Selbstwiderspruch. Ohne internes Repetitionsverhältnis und ganz auf ihre Binnenstruktur ausgerichtet, sind sie auf sich selbst zurückgeworfenes Dekor. Diese Auffassung von Ornament paraphrasiert das autonome Kunstwerk und seine Selbstreferentialität in der Oberfläche der schmuckvollen Preziose. Die Arbeiten sprechen den Code des puristisch gehöhten Exponats: In der Präsentation zeigt Mosler die Einzelstücke entsprechend gleichmäßig und auf Augenhöhe gereiht, aufgesteckt auf dünne, in den Raum ragende Metallstäbe. Die filigranen Objekte scheinen freiplastisch vor der Wand zu schweben. Als miniaturisierte Kulminationspunkte von Ornament gehen sie – anders als bei vielen anderen Werktypen Moslers – nicht im Raum auf, sondern sind in diesem exponiert. Im Sinne von ‘Werk’ entziehen sie sich dabei exemplarisch der Projektion von semantischer ‘Tiefe’, von Expression oder von auktorialer Bedeutung. Dennoch bleiben die Objekte keineswegs abstrakt. Durch ihre Materialität und die aufwendige Handarbeit schleusen sie Spuren des Individuellen in die Folie ihrer Selbstbezüglichkeit ein und aktivieren so auch biografische und kulturelle Erinnerungsschichten der Betrachter.
Formal knüpfen diese Arbeiten an die kunsthandwerkliche Tradition des Haarschmucks und der Haarbilder im 19. Jahrhundert an, deren Hervorbringungen als individueller, von einer bestimmten Person materiell herrührender „Erinnerungsschmuck“ stark emotionalisiert wurden. Daran anschließend sind Moslers Objekte latent zum Austragungsort affektiver Zuschreibungen umfunktioniert. Die Schmuckform fungiert darin als Fokus, wie eine am Dekor fixierte Erinnerung an jemand Unbestimmten, wie eine darin eingewobene Fiktion. Anders als die raumgreifenden Fruchtgummi- oder Sandarbeiten, anders auch als Arbeiten wie Haar Wand, erscheinen Moslers Haarobjekte als personalisierte Projektionsflächen, die Erfüllung freilich nicht in Aussicht stellen. Sie entpuppen sich unweigerlich als leere Liebeszeichen musealer Provenienz, die von vornherein an nichts und niemanden erinnern. Mit der faktisch und ersichtlich in sie investierten Zeit – der des Wachstums ihres Materials ebenso wie der ihrer Herstellung – verleiben sie sich das fiktive Subjekt als ihre strukturelle Lücke ein. Bloß das Körperliche des Werkstoffs und die individuelle Lebenszeit sind als anonyme Spur von Authentizität präsent. Daran mag sich, im Ausschmücken ungesättigter Innerlichkeit, noch eine Kette offener Fiktionen heften – ‘Individuum’ bleibt dabei eine Folge unerfüllter Zeichen.