Ursula Panhans-Bühler
Mariella Mosler Filiationen von Ornament und Gedächtnis. Ein Gespräch
in: Skulptur als Feld. Katalog Kunstverein Göttingen, Hatje Cantz 2001, S. 53 – 64

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P.-B.:
Mariella, Du arbeitest mit eher ungewöhnlichen Materialien, nämlich Sand, Haare und Fruchtgummi. Wie bist Du auf diese gekommen ?

M.M.:
Sand und Haare sind ja scheinbar Allerweltsmaterialien und überall verfügbar. Aber in der Form, in der ich sie verwende, haben sie bereits mehrere Industriealisierungsprozesse durchlaufen, auch wenn sie ganz “urprünglich” wirken. Der Sand ist industriell gebrochen und gesiebt, die Haare sind importierte Asia-Haare, gebleicht, gefärbt und dann von mir entsprechend bestimmter zu repräsentierender Typen oder Altersstufen zusammengestellt. Bei den Fruchtgummis hat mich gereizt, dass sich dort Symbole finden, die in den medialen Bildern viel stärker überformt oder codiert sind. Diese Symbolisierungen des Begehrens dann wieder im Verzehr vernichten zu können, verheißt eine Befriedigung, der sich die Arbeit entzieht. Sand wirkt billig und wird eigentlich erst durch den Arbeitsprozess vorübergehend veredelt, also eigentlich das Gegenteil des Spiels, das man gewöhnlich mit dem Material assoziiert. Haare sind in ihrer Wertigkeit sehr ambivalent, einerseits größter Schmuck, andererseits „vom Körper gelöst“ absoluter Schmutz und tabuisiert.

P.B.:
Sand als Rohmaterial ist eher unkontrollierbar ...Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Ornamenten, den Materialien, ihrer Disposition im Raum?

M.M.
Diese Materialien sind ja an sich formlos und daraus ergibt sich eine gewisse Logik ihrer Verwendung, die beim Sand physikalischen Gesetzmäßigkeiten folgt, aber immer schon strukturell mit Ornamenten zu tun hat, z.B. mit Schichtungen, Verflechtungen, Knoten, Überschneidungen usw.
Bei den Wandarbeiten aus Fruchtgummi findet sich der Betrachter etwas gegenüber, was sich erst in der physischen Annäherung von einer linearen farbigen Struktur zur Bild- oder Objekthaftigkeit der Einzelteile erschließt, es ging mir um die Aufhebung der Betrachterdistanz.Mit den Sandarbeiten wollte ich dieses Prinzip in der räumlichen Ausdehnung physisch erfahrbar machen. Meine Idee war, eine begehbare Raumsituation zu schaffen, in der die Verflechtungen des Ornaments beim Schreiten im Raum nachvollzogen werden und so mit dem Mäandern des Blicks zusammenfallen können. Leerstellen des Ornament oder nicht gestaltete, frei belassene geometrische Kreuzungspunkte werden zu Betrachterstandpunkten innerhalb der Fläche, wobei sich das Verhältnis von einem Gegenüber veränderte zu einem ....

P.-B.:
Ein sehr interessanter Gesichtspunkt, die Verschränkung der bildhaften Seite des Ornaments, die einen fixiert und der Wege, denen die Imagination folgt ...

MM:
Ja, das ist vielleicht das Verbindende zwischen den verschiedenen Werkformen. Manchmal kann sich der Besucher im Ornament bewegen - er hätte sogar die Möglichkeit, es zu zerstören - und manchmal kann nur das Auge den Raum abtasten. Bei den Sandarbeiten ist es von der Raumituation abhängig, ob sich das Ornament dezentralisierend auf die Architektur bezieht und über diese hinauszugehen scheint in ein imaginäres Unendliches, oder ob es sich scheinbar affirmativ verhält und über den Verlauf des Lichtes und die ornamentale Struktur versucht, eine Dynamik zu erzeugen.

P.-B.:
Die Fruchtgummiarbeiten greifen häufig auf florale Ornamentstrukturen zurück. Bei den Sandarbeiten wirkt das Serielle auffälliger.

M.M.:
Das Serielle findet sich in allen Werkgruppen, entweder in der Wiederholung des Motivs, im Rapport, oder wie bei den Haarskulpturen in diversen Variationen, unterschiedlichen Motiven, die sich formal aufeinander beziehen und sich in der Reihung als Serie realisieren.

P.-B.:
Spielen bei Deinen Sandarbeiten Licht und Schatten, der Verlauf des Tageslichts eine Rolle?

M.M.:
Eigentlich leben die Bodenornamente vom Tageslicht, und der ihnen innewohnende zeitliche Aspekt realisiert sich noch einmal im Ablauf des Tages. Natürliches Licht ist mir daher lieber, weil sich die Arbeiten dann beständig verändern, wie eine Landschaft, Kunstlicht erzeugt eine zu statische Situation.

P.-B.:
Du hast von der Beziehung zum Raum gesprochen. War das „Schweben“ der Haarsterne im Herzliya-Museum beabsichtigt?

MM:
Ja, das war mir sehr wichtig, dass sie fast vor der Wand zu schweben schienen. Durch das Material, und die physische Annäherung an das Objekt entsteht eine fast immaterielle Entrückung.

P.-B:.
Wie schwer ist.so ein Haarstern?

MM:
Einer wiegt wenige Gramm.

P.-B.:
Also es passt ... wie nur für einen flüchtigen Moment in diesem Raum gelandet.- Interessiert Dich die Rolle, die Ornamente in kulturellen Traditionen gespielt haben?

MM:
Historische Entwicklungen haben ja eine bestimmte Kunstgeschichte mit einem korrespondierenden Formenrepertoire erzeugt ....und Ornamente sind immer von einer Kultur zur anderen gewandert - wie ja auch moderne Ornamente und Logos ständig wandern - in vielen Fällen ist ihr Ursprung oder ihre Urheberschaft nicht mehr auszumachen, oft auch durch kulturelle Vereinnahmung verloren gegangen. Manchmal sind ornamentale Formen auch zeitgleich in verschiedenen Kulturen aufgetaucht.
Diesen Wanderungen von Formen über Kontinente und Kulturen in Verbindung mit imperialen und religiösen Eroberungszügen entsprechen heute die Zeichen eines globalen Kapitalismus und seiner Produktimperien.

P.-B.:
Interessiert Dich das kulturelle Gedächtnis in diesen optisch-semantischen Strukturen?

MM.:
Ich denke, dass die Struktur von Ornamenten wie z.B. die Konstruktion von Wellenbändern oder Knotenornamenten über bestimmte Kulturtechniken wie Weben und Flechten in einem starken Zusammenhang mit Sprache steht, mit unterschiedlichen sprachlichen Strukturen, verschiedenen grammatikalischen oder zeitlichen Ordnungssystemen, die sich überlagern, miteinander verwoben sind und sich wechselnd hierarchisch zueinander verhalten können.

P.-B.:
Beim Flechten und Knotenbinden ergibt sich ein Drunter und Drüber ...

MM:
Da ich gerade anfangen habe, mich mehr mit Knoten zu beschäftigen, habe ich bemerkt, dass viele der einander überlagernden ornamentalen Strukturen sich tatsächlich auch zu Knoten zusammenziehen lassen. Viele graphische Anleitungen zur Herstellung von Knoten waren mir vorher als Ornament bekannt, also in der Fläche angelegt die strukturelle Möglichkeit zur räumlichen Verdichtung und gleichzeitig in der skulpturalen Form des Knotens verborgen das Ornament oder lineare Geflecht ...
Einige Knoten lassen sich schnell wieder lösen, andere nicht.

P.B. Welche künstlerischen Positionen oder Haltungen haben Dich interessiert oder beeindruckt?

MM:
Es gibt Aspekte bei sehr unterschiedliche Künstlerinnen und Künstlern, die mich interessieren. Yayoi Kusama zum Beispiel. Da ich unter anderem bei Stanley Brouwn studiert habe, hat mich sicher die Haltung beeindruckt, die er konsequent beibehält. Ich schätze seine konzeptuelle Position, verbunden mit einer großen formalen Strenge und extremer Auslese in der Produktion.

P.-B.:
Eine paradoxe Dramatik und Stille empfinde ich auch ...
Sand wird von Wind und Wasser geformt. Kulturen stützen sich auf Strukturen, sind sich aber ihrer zunehmenden Fragilität bewusst. Haben Deine Sandskulpturen etwas mit der Fragilität von Strukturen zu tun ?

MM.:
Ordnungssysteme sind immer notwendig temporär. Mir ist zumindest bewusst, dass eigentlich alles, was im Augenblick da ist, innerhalb kürzester Zeit wieder verschwinden könnte oder nur vorübergehend existiert. Mit vielen meiner Arbeiten ist es genauso. Ich denke da wenig über meine Lebensdauer hinaus.

P.-B.:
Also das Kunstwerk nicht mehr als eine Verdinglichungsstrategie gegen die Grenze der Zeit ?

MM:
Das ist keine Strategie, an die ich glaube. Transformatorische energetische Prozesse gehen nicht immer in Objekten auf, daher haben Objekte zwangsläufig etwas kompensatorisches an sich, zumal das zur Verfügung stehende Potential an Bildern, welches die Verdinglichungsstrategien luxuriös umhüllt, immer selbstreferentieller und leerer wird. Du hast ja einmal formuliert, das meine Arbeiten als Erinnerungsbilder funktionieren, als Animierung eines subjektiven Potentials vielleicht, wenngleich ich zum Beispiel mit den Haararbeiten so etwas wie eine Verdichtung von Energie im Objekt versucht habe.

P.-B.:
Auf Zeit also bieten Deine Arbeiten etwas an, was niemand verfügend in die Hand nehmen kann?

MM:
Mir scheint, die sich stetig überholende technische Entwicklung läuft auf einen sich in den Objekten manifestierenden Kampf gegen die Zeit hinaus, der mit der Konservierung des Körpers und auch der Erinnerung zusammenfällt. Im beständigen Austausch der Dinge wird versucht, zeitliche Prozesse aufzuhalten und eine immerwährende Gegenwart zu erzeugen.
Subjektive Zeitstrukturen finden keine Entsprechung mehr in den Bildern, die uns umgeben.

P.-B.:
Menschliche Erinnerungsfähigkeit wird also zur vorgespiegelten Dauer entfremdet, eine gedächtniszerstörende Instrumentalisierung?

MM:
Man wird in die Rolle von Kafkas Hungerkünstler gedrängt, der, als man ihn fragte, warum er nie etwas gegessen habe, nur antworten konnte: Es hat mir alles nicht geschmeckt. Das ist eine Verweigerungshaltung, die im Augenblick keinen guten Leumund hat.

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