„…Verdichtung von Energie im Objekt…“
(Mariella Mosler, 2001)

Katja Lenz . Zeichen der Zeit
Mariella Mosler, Haar-Objekte, 1990-2002

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Mariella Moser (geb. 1962) kreiert Haar-Zeichen, verknüpft, verknotet und verflochten zu Ornamenten. Aneinandergereiht positioniert und mit einer Nadel an der Wand aufgespiesst, vermitteln sie den Eindruck als wären sie freischwebend. Bei diesen feingliedrigen, zwischen vier und acht Zentimeter grossen Objekten, handelt es sich nicht etwa um die Jagdbeute von Entomologen, sondern um Kunstwerke aus Menschenhaar. Im traditionellen Verfahren des Klöppelns, Häkelns und Flechtens entstehen arabeske, figürliche, symbolische oder deskriptive Ornamente, wobei die Künstlerin teilweise auf ein bereits bestehendes Formenrepertoire aufbaut, aber auch neue Zeichen entwirft. Sie thematisiert den Ursprung und die Urheberschaft, sowie den kulturellen und historischen Hintergrund von Symbolen und Zeichen.

Mosler wählt die unterschiedlichsten Motive aus der Natur, Gesellschaft, Kultur und Geschichte aus und reduziert sie auf ihre strukturellen Formen. Systematisiert und klassifiziert nach Gattungskriterien stellt die Künstlerin ein Kompendium des Weltwissens, vergleichbar einer Wunderkammer dar: Darin vereint sie Vegetationsformen (Koralle, Farn, Kern, Dreiblatt, Ecker), Geometrie (Enneagon, Kugel), Abstraktion (Quant), Figuration (Affenfaust, Schneeflocke, Staatszelle) sowie Symbole (Triskele). Obwohl einige Haar-Zeichen sich in ihrer Gestalt ähneln, sind sie hinsichtlich ihrer Bedeutung teilweise grundverschieden. Der Künstlerin geht es in erster Linie um die Veranschaulichung von universalen Zusammenhängen und Gesetzmässigkeiten, die der Naturwissenschaft und Kunst, Politik, Gesellschaft und Sprache zu Grunde liegen, und die sie auch im Herstellungsverfahren aufzeigt: „Ich denke, dass die Struktur von Ornamenten über bestimmte Kulturtechniken wie Weben und Flechten in einem starken Zusammenhang mit Sprache steht, mit unterschiedlichen sprachlichen Strukturen, verschiedenen grammatikalischen oder zeitlichen Ordnungssystemen, die sich überlagern, miteinander verwoben sind und sich wechselnd hierarchisch zueinander verhalten können“. Die Haar-Zeichen stellen die komplexen Beziehungsgeflechte durch die sich räumlich verdichtenden Knoten und Verknüpfungen visuell in den Mustern und Ornamenten dar und weisen auf die unendlichen Kombinationsmöglichkeiten hin.

Der universal-kosmische Hintergrund von Moslers Arbeit wird auch in der Wahl des Materials deutlich: das Haar als Stoffwechselprodukt, beinhaltet das Erbgut des Menschen in kodierter Form. Molekularbiologisch betrachtet, basieren die Erbinformationen aller Lebewesen auf der unverwechselbaren Struktur des DNA-Moleküls, während unsere Gestalt, unser Aussehen, unser Wesen lediglich von der Kombinatorik der einzelnen als Doppelhelix auftretenden DNA-Verbindungen bestimmt werden. Alles Leben basiert auf einem Beziehungsgeflecht zufälliger Verknüpfungen – sie sind der kodierte Schlüssel kosmischer Existenz.

Mit den Haar-Zeichen verweist Mosler aber auch auf die historisch-kulturelle, ästhetische und religiöse Bedeutung des Materials. Ob unter dem Kopftuch verdeckt, als Fetisch, Reliquie, Schmuck, Magie oder zur Erinnerung, das menschliche Haar ist symbolisch höchst aufgeladen. Eine wichtige Rolle spielte das Haar im kultur-historischen Kontext in der Erinnerungs- und Trauerkultur Nordeuropas. Während der Romantik und des Biedermeiers wurde in Hinblick auf den Tod das Haar zeremoniell abgeschnitten und in feinster Stickerei und Klöppelarbeit zu Haarbändern oder Broschen verarbeitet. Den Haarschmuck trug man – im Sinne des Votivgedankens – in Trauer und Erinnerung an den Verstorbenen. Mariella Mosler bezieht sich formal auf diese Tradition, aber konterkariert sie zugleich, indem sie die Individualität auslöscht: Mit Absicht benutzt sie aus Asien importiertes Haar, das bereits mehrere Industrialisierungsprozesse durchlaufen hat und als „Gebrauchsware“ verwertet wird. Es wird erneut gebleicht, eingefärbt und verknotet. Daraus entstehen hybride Artefakte, unterschiedlicher Symbolik … Zeichen der Zeit.