Karsten Müller
Mariella Mosler, Roter Baum
in: Die Sammlung, Bestandskatalog Kunstmuseum Stuttgart, Hatje Cantz 2005, S. 276/277

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Die Kunst Mariella Moslers entzündet sich an den Reibungsflächen zwischen Natur und Künstlichkeit. Scheinbar natürliche Materialien, mit denen sie arbeitet, sind durch industrielle Prozesse konsequent denaturiert: Der Quarzsand, den sie - wie 1997 auf der Docul1:enta X in Kassel zu präzisen Bodenornamenten aufschüttet,. ist gesiebt und gewaschen, die Menschenhaare, die sie streng geometrischen Formationen knüpft, sind gebleicht und gefärbt. Auch naturalisierte Produkte dienen Mosler als Rollstoffe für Ihre Kunst – etwa in organische Formen gepresste und mit naturidentischen Aromen versetzte Fruchtgummis, aus denen sie üppig rankende Wand-Arabesken gestaltet.

Moslers Arrangements irritieren durch die offensichtliche Diskrepanz zwischen der Banalität des Materials und seiner aufwändigen, Zeit raubenden Veredelung zu perfektem Dekor. Der expansive Rapport der Ornamente setzt vorgegebene Raumordnungen und Orientierungen subtil außer Kraft. Moslers Konzentration auf die Gestaltung subversiv schöner Oberflächen verbindet sich mit dem bewussten Verzicht auf individuellen Ausdruck: Ihre Adaptionen unterschiedlichster Vorlagen stehen in einer kulturen- und epochenübergreifenden Tradition, die keine Urheberschaft kennt.

Für ihre temporäre Installation auf dem Kleinen Schlossplatz wählte Mariella Mosler, die seit 2003 als Professorin an der Stuttgarter Kunstakademie lehrt, die ausgesprochen dauerhaften Materialien Edelstahl und Bronze. Auf einer spiegelnden Basis gruppierte sie eine vier Meter hohe, in sich gewundene Plastik und drei amorphe, an Werke Hans Arps oder Henry Moores erinnernde Sitzelemente. Als frei in den Raum ausgreifendes Spiralornament behauptet sich der stilisierte Baum inmitten kubischer Gebäude; Mosler entschied sich gegen die Möglichkeit, reale Pflanzen als Weichzeichner über architektonische Sperrigkeit zu legen.

Die Bronze ist unter einer orangeroten Lackierung verborgen, deren Farbverlauf Airbrushmotive aus Motorradzeitschriften zitiert - zwischen Hülle und Kern liegt das Spannungsfeld von Trash und Hochkultur. Durch seine Farbigkeit wird der Baum historisch verwurzelt: Er erinnert an jene Korallenbäumchen, die schon um 1600 in fürstlichen Kunst- und Wunderkammern präsentiert wurden. Die rätselhaften Gewächse waren begehrte Sammlerstücke - bewundert als natürliche Artefakte, als Exempel für die schöpferischen Kräfte der Natur. In der extremen Künstlichkeit ihrer Baumskulptur reflektiert Mariella Mosler diese Natur- und Kulturgeschichte, und den Passanten bietet sie eine Sitzgruppe für Reflexion und Kommunikation aller Art. So gewinnt der Kleine Schlossplatz eine Qualität jenseits seiner Gebrauchsfunktion als Zeit sparender Verbindungsweg. In der Kunst von Mariella Mosler spielt Effizienz jedenfalls keine Rolle: Erst Zeitvergeudung verspricht echten Gewinn.